Der passende Fahrradrahmen

Rahmengeometrie und Ergonomie

Die Rahmenformen bei Fahrrädern sind zweifellos vielfältig geworden aber leider nicht immer ergonomischer. Es gibt nämlich weitaus mehr Kriterien, die entscheiden, ob das Fahrrad optimal zum Fahrer passt oder nicht.

Mit der Rahmengröße - die übliche Bezeichnung für die Rahmenhöhe - wird die Länge des Sattelrohres bezeichnet, gemessen von der Mitte der Tretlagerwelle bis zum Ende des Oberrohrs. Mit der Rahmengröße passt man das Rad der Beinlänge des Fahrers an und entscheidet, ob er über dem Oberrohr noch stehen kann (Überstandshöhe). Ob der Rahmen dann auch in seiner Gesamtgeometrie und Länge passt, ist entweder Glückssache oder einem (sehr!) guten Fahrradhändler zu verdanken.

Denn:
Niemand schreibt den Herstellern vor, wie sie die Rahmengeometrien gestalten müssen. Viele Geometrien sind traditionell gewachsen, manche von einem außergewöhnlichen Design bestimmt, selten aber sind sie ergonomisch korrekt! Eine kurze Rahmengeometrie kann auch an der Produktion von günstigen Fahrradrahmen im Ausland und an der Forderung liegen, dass besonders viele von ihnen in einen Überseecontainer passen sollen.

Kürzere Rahmenlängen trotz größerer Menschen

In den letzten 20 Jahren gab es eine Entwicklung bei den Rahmenformen und Geometrien des Fahrrads, die nicht immer als sinnvoll oder ergonomisch korrekt beurteilt werden kann. Obwohl die Bevölkerung in Deutschland in den letzten 50 Jahren statistisch im Durchschnitt 12 bis 15 cm größer geworden ist, werden Fahrradrahmen immer noch mit Höhen wie vor 100 Jahren bis maximal 64 cm angeboten, im Laufe der Zeit hat sich die Rahmenlänge sogar deutlich verkürzt.

Rückblick:
Anfang der 1980er Jahre waren Rennsporträder für längere Strecken und Reisen sehr beliebt. Die edlen "Randonneurs" waren stabile, nicht zu leichte Rennräder mit etwas längeren Hinterbauten, Schutzblechen, Gepäckträgern und schlechten Lichtanlagen. Ein leichter Stahlrahmen wurde mit teilweise sehr hochwertigen Rennradkomponenten kombiniert und der komfortable Rennlenker lag nur wenig tiefer als der Sattel. Somit hatte das Randonneur eine sehr gute Langstreckengeometrie, da durch das Verwenden des Rennlenkers ausreichend Sitzlänge zwischen Sattel und Lenker vorhanden war, ohne dass der Rahmen durch große Rohrlängen instabil wurde. Mittlerweile hat z.B. PATRIA das Randonneur wieder in sein Programm aufgenommen.

Die Entwicklung des Mountainbikes ab Mitte der 1980er Jahre brachte einen lang ersehnten Aufschwung für die Fahrradbranche. Schnell übertrug man spezifische Komponenten wie den geraden Lenker und die Federgabel auf andere Fahrradtypen und überlegte nicht, ob sich die Geometrien ergonomisch vertrugen. Die junge Kundschaft und die neu entstandenen Firmen hatten keine Erfahrung mit bewährten Sitzgeometrien und nahmen Unbequemlichkeiten, Rückenschmerzen und einschlafende Hände billigend in Kauf.

Der gerade Lenker wurde zum Markenzeichen für sportliche Trekkingräder und Fitnessräder - und er verkürzte die Sitzlänge der Fahrräder um 10 bis 15 cm, da mit den gleichen Rahmengeometrien gearbeitet wurde wie früher beim Rennsportrad. Die Verkürzung wollte und konnte man nicht mit einer verlängerten Rahmengeometrie auffangen, da befürchtet wurde, dass die Rahmen sonst zu schwer und instabil würden. Die Anpassung der Rahmengeometrie ohne diese Nachteile hätte einen erheblichen Entwicklungsaufwand bedeutet.

Die verkürzte Sitzlänge der modernen Sporträder führt bei den meisten Fahrern zu einer komplexen und ungesunden Kompensationshaltung: Sie krümmen den Rücken, um den geringen Abstand zwischen Sattel und Griffposition (Sitzlänge) auszugleichen. Würden sie den Rücken in seine natürliche S-Form strecken, wäre der Winkel zwischen Oberarmen und Oberkörper sehr viel kleiner als 90 Grad und der Oberkörper könnte keine Stützkräfte mehr erzeugen - das ist, als ob man Liegestützübungen mit nach hinten gestellten Armen ausführt. Der Körper gleicht den engen Winkel unbewusst aus, indem der obere Rücken so weit nach hinten herausgedrückt (gerundet) wird, bis die 90 Grad zwischen Oberarmen und Oberkörper erreicht sind. Dadurch kippt das Becken nach hinten und der Kopf wird stark in den Nacken gelegt. Die Arme sind in dieser Position bis zum Anschlag durchgestreckt und vermitteln den Eindruck, dass die Sitzposition zu lang ist - in Wirklichkeit ist sie jedoch zu kurz. Sowohl die gestreckten Arme als auch der gekrümmte Rücken sind nicht in der Lage, Fahrbahnstöße durch natürliches Nachgeben abzufangen und so werden viele Räder mit zusätzlichen Federungssystemen ausgestattet. Federgabel und gefederte Sattelstützen können bei unsachgemäßer Verwendung die Rahmengeometrie ungünstig beeinflussen und z.B. Knieprobleme hervorrufen.

Häufig berichten Kunden in unserem Geschäft, dass sie sich auf ihrem alten Fahrrad wohler gefühlt haben, obwohl sie doch für das neue dieselbe Rahmenhöhe gewählt haben. Die Rahmenhöhe hat heute nur noch sehr wenig mit der eigentlichen Sitzgeometrie zu tun. Bei gleicher Rahmenhöhe können die Räder unterschiedlich lang und bei entsprechender Lenkerform gleichzeitig um ein Vielfaches zu kurz sein. Eine Lösung versprach der Multifunktionslenker: Mit ihm sollten verschiedene Griffpositionen ermöglicht werden, doch häufig ist die Griffposition durch diese Lenkerfom stark zum Fahrer hin verlagert. Da sich Bremsen und Schaltung meistens nur von einer Griffposition aus bedienen lassen, bleibt der Positionswechsel aus und die Hauptgriffposition ergibt dann die kürzeste Sitzlänge.

Der richtige Sitzrohrwinkel

Die Sitzlänge addiert sich aus der Oberrohrlänge, der Länge des Vorbaus und der Griffposition am Lenker. Die Oberrohrlänge alleine ist fast ohne Aussage, wenn man den Sitzrohrwinkel nicht kennt. Er entscheidet, ob man mit dem Körperschwerpunkt das antreibende - also nach vorne zeigende - Pedal belastet, oder ob das Gewicht hinter dem Tretlager auf dem entlasteten Pedal liegt. Letzteres ergibt ein zähes undynamisches und anstrengendes Fahrgefühl.

Menschen unter 170 cm Körperlänge sollten eher steile Sitzrohrwinkel mit 74 - 76 Grad und evtl. kürzere Tretkurbeln wählen. Beides hilft, die geringe Oberschenkellänge auszugleichen. Bei großen Menschen darf der Sitzrohrwinkel, je nach Oberschenkellänge, 72 Grad und flacher sein. Wird der Sattel gegenüber dem Sattelrohr aus seiner Mittelposition versetzt, ergibt sich eine Veränderung des effektiven Sitzrohrwinkels. Schon eine nach hinten gekröpfte Sattelstütze verringert den Winkel um 0,5 bis zu 1 Grad.

Das Knielot

Maßgeblich für die Sattelposition ist jedoch das Knielot. Das ist bei waagerecht nach vorn zeigender Kurbel die Senkrechte, die von der Knievorderseite auf die Pedalachse und somit auf das Zehengrundgelenk zeigt. Sportliche Fahrer mit deutlich tieferer Lenkerposition brauchen mehr Vorlage, bei ihnen sollte das Knielot bis zu drei Zentimeter vor der Pedalachse liegen, damit sich der Körper (Oberschenkel/Oberkörper) öffnen kann. Heute werden viele Räder mit relativ flachem Sitzrohrwinkel gebaut, da so die Rahmen kompakter und leichter werden. Die nominelle Oberrohrlänge bleibt dabei gleich und die nutzbare Oberrohrlänge - nach der notwendigen Korrektur der Sattelposition - wird deutlich kürzer.

Der Sitzrohrwinkel verändert sich auch ungünstig, wenn bei herkömmlichen Rahmen Federgabeln eingebaut werden. Die hochbauende Federgabel kippt die Geometrie nach hinten, so dass aus einem 72-Grad-Rahmen plötzlich ein 68-Grad-Rahmen wird. Dieser Winkelfehler lässt sich dann kaum noch mit anderen Mitteln kompensieren. Bei Fahrrädern mit flachem Sitzrohrwinkel ist es bei korrekt eingestellter Sattelhöhe eher möglich, mit den Füßen auf den Boden zu kommen, als bei einem steilen Sitzrohrwinkel. Ausschlaggebend ist dafür aber die Tretlagerhöhe.

Die Tretlagerhöhe über der Fahrbahn soll sicherstellen, dass der Fahrer in Kurven nicht mit dem unten stehenden Pedal aufsetzt. Bei Rädern mit gefederten Hinterbauten liegen die Tretlager bis zu 5 cm höher, so dass kaum eine Chance besteht, ohne Absteigen sicher anzuhalten - es sei denn, der Sattel wird viel zu tief eingestellt.

Es gibt Hersteller, die bezeichnen ihre Räder als besonders "lang" und verweisen dabei auf lange Hinterbauten. Die Hinterbaulänge ist der Abstand zwischen Tretlagermittel und Hinterradachse. Lange Hinterbauten dienen der Laufruhe des Rades und geben mehr Fußfreiheit bei Packtaschenbenutzung. Die Sitzgeometrie bleibt jedoch von dieser Länge unberührt und die Räder können trotzdem für den Fahrer unergonomisch sein.

Wenn Sie Ihre optimale Sitzposition noch nicht gefunden haben, können Sie in guten Fahrradfachgeschäften auf flexibel einstellbaren Messrädern - beispielsweise von PATRIA - ausprobieren, mit welcher Sitzposition und Rahmenlänge Sie zurechtkommen.

Fachhändler, die solche Messräder haben, finden sich unter www.patria.net (in der Händlerliste nach Velochecker schauen).